Demokratie
Das Zusammenleben von Menschen wird durch Regeln organisiert, die dafür sorgen, dass alle in der Gemeinschaft die gleichen Chancen haben. In einer Demokratie werden diese Regeln von den Mitgliedern der Gemeinschaft gemeinsam ausgehandelt. In einem demokratischen Staat wählen die Menschen also unter sich einige Vertreter und Vertreterinnen aus, die stellvertretend für alle die Diskussion um die gesellschaftlichen Regeln führen. Diese gewählten Vertreter und Vertreterinnen kommen im Parlament zusammen und bilden die sogenannte Legislative, die die Gesetze erlässt. Neben der Legislative gibt es in einer Demokratie auch die Exekutive, also die Regierung, die die Gesetze umsetzt, und die Judikative, sprich die Gerichte, die bei Rechtsstreit entscheiden und rechtswidriges Verhalten bestrafen. Legislative, Exekutive und Judikative nennt man auch die „drei Gewalten“ und ihr unabhängiges Arbeiten nennt man die „Gewaltenteilung“.
Das Parlament ist somit das Herzstück einer jeden Demokratie, denn hier treffen die verschiedenen Interessen und Meinungen aller Bürger und Bürgerinnen aufeinander. Der Landtag ist das Parlament Südtirols, in dem die Landtagsabgeordneten als gewählte Vertreter und Vertreterinnen die Meinungen und Interessen aller Bürger und Bürgerinnen vertreten, um Gesetze zu erlassen, die das Zusammenleben in unserem Land regeln. Der Landtag ist also die höchste Volksvertretung und das gesetzgebende Organ in Südtirol.
Gesetzgebende Funktion
Die wichtigste Aufgabe des Landtags ist die Gesetzgebung. Da Südtirol eine Autonomie besitzt, kann der Landtag in sehr vielen Bereichen Gesetze erlassen. Nicht dazu gehören Bereiche wie Außenpolitik, öffentliche Sicherheit, Verteidigung, Gerichtsbarkeit, Zivil- und Strafrecht, Staatsbürgerschaft, Standes- und Meldewesen, Währung, usw. In diesen Bereichen hat der Staat alleinige Gesetzgebungsbefugnis.
Vorschläge für Gesetze bzw. Gesetzentwürfe können von den Landtagsabgeordneten, von der Landesregierung und vom Volk durch ein Volksbegehren eingebracht werden, zu Gemeindeangelegenheiten auch vom Rat der Gemeinden. Für ein Volksbegehren müssen mindestens 8000 Unterschriften von wahlberechtigten Bürgern und Bürgerinnen gesammelt werden.
Kreationsfunktion
Der Landtag ist das einzige politische Organ in Südtirol, das direkt von den wahlberechtigten Bürgern und Bürgerinnen gewählt wird. Er wird in allgemeiner, direkter und geheimer Wahl gewählt und setzt sich aus 35 Abgeordneten zusammen. Das Wahlgesetz sieht vor, dass im Südtiroler Landtag mindestens ein Abgeordneter bzw. eine Abgeordnete der ladinischen Sprachgruppe vertreten sein muss. Die anderen politischen Organe in Südtirol, sprich der Landeshauptmann oder die Landeshauptfrau und die Landesregierung, werden vom Landtag gewählt. Diese Aufgabe des Landtags wird „Kreationsfunktion“ genannt. Sie ist einzigartig in Italien, denn in anderen Regionen werden die Landeshauptleute und Regierungen ebenfalls direkt vom Volk gewählt. Seit der Reform des Autonomiestatuts im Jahr 2001 gibt es die Möglichkeit, dass auch der Landeshauptmann oder die Landeshauptfrau in Südtirol direkt vom Volk gewählt werden kann. Die Direktwahl müsste im Wahlgesetz vorgesehen werden. In der Nachbarprovinz Trient ist das der Fall.
Kontrollfunktion
Zu den Aufgaben der Legislative gehört es auch, die Tätigkeiten der Exekutive zu überwachen. Damit hat der Landtag also auch die Aufgabe, die Arbeiten der Landesregierung zu kontrollieren. Der Landtag hat mehrere Möglichkeiten, diese Kontrollfunktion auszuüben:
Anfrage mit schriftlicher Beantwortung
Am häufigsten nutzen die Landtagsabgeordneten die Möglichkeit, eine schriftliche Anfrage an das Landtagspräsidium oder an die Landesregierung zu stellen, die innerhalb von 30 Tagen schriftlich beantwortet werden muss. Dabei wird meist angefragt, ob
- dem Landtagspräsidium oder der Landesregierung eine Nachricht über eine bestimmte Angelegenheit zugekommen ist
- eine Nachricht der Wahrheit entspricht
- die Landesregierung zu bestimmten Angelegenheiten Beschlüsse gefasst hat oder Beschlüsse zu fassen beabsichtigt
- warum bzw. wie eine bestimmte Maßnahme von der öffentlichen Verwaltung umgesetzt wurde.
Aktuelle Fragestunde
1993 wurde die „Aktuelle Fragestunde“ nach dem Vorbild des englischen Parlamentarismus, wo sie „question time“ genannt wird, in die Geschäftsordnung des Landtags aufgenommen. Sie findet jeweils am ersten Tag der monatlichen Landtagssitzung statt, dauert aber nicht eine Stunde, sondern 120 Minuten. Die Abgeordneten haben dabei das Recht, kurze Sachfragen an den Landtagspräsidenten bzw. die Landtagspräsidentin, an den Landeshauptmann bzw. die Landeshauptfrau oder an die Mitglieder der Landesregierung zu stellen, die diese in der Regel umgehend beantworten. Die Anfragen müssen bis spätestens zwei Arbeitstage vor der Landtagssitzung eingebracht werden. Kann eine Anfrage wegen Zeitmangels oder wegen Abwesenheit der Befragten nicht behandelt werden, so muss die Antwort bis spätestens fünf Tage nach dem Sitzungstag schriftlich beantwortet werden.
Aktuelle Debatte
Anstelle der Aktuellen Fragestunde kann eine Aktuelle Debatte stattfinden, deren Abhaltung wenigstens 15 Arbeitstage vor der nächsten Sitzungsfolge unter Angabe des Themas von einem Fraktionsvorsitzenden beantragt wird. Die Debatte wird von einem/einer Abgeordneten der antragstellenden Fraktion/Fraktionen eröffnet, welcher/welche höchstens 15 Minuten sprechen darf. Die Höchstdauer der nachfolgenden Debattenbeiträge beträgt 150 Minuten, wobei jede Abgeordnete und jeder Abgeordneter zu Wort kommen darf, deren/dessen Anmeldung vom/von der jeweiligen Fraktionssprecher/in in einer Fraktionssprechersitzung gemeldet wurde. Anschließend stehen der Landesregierung insgesamt 15 Minuten zur Stellungnahme zur Verfügung. Die Aktuelle Debatte darf die Dauer von 180 Minuten nicht übersteigen.
Untersuchungsausschuss
Zur Untersuchung besonderer Angelegenheiten oder Sachverhalte können Untersuchungsausschüsse eingesetzt werden. Dazu bedarf es eines begründeten Antrags, der von mindestens einem Viertel der Landtagsabgeordneten unterzeichnet wird. Der Landtagspräsident bzw. die Landtagspräsidentin ernennt hierauf einen Untersuchungsausschuss, in dem jede Landtagsfraktion durch ein Mitglied vertreten sein muss. Der Ausschuss holt Informationen ein und besorgt sich Unterlagen über den Gegenstand der Untersuchung. Nach Abschluss der Untersuchungen legt der bzw. die Vorsitzende des Untersuchungsausschusses dem Landtag die Ergebnisse in Form eines Berichtes vor. Der Ausschuss kann dem Landtag auch Lösungsvorschläge unterbreiten.
Mitwirkungsfunktion
Der Landtag ist zwar das gesetzgebende Organ des Landes, hat aber auch die Funktion des Mitwirkens bei der Tätigkeit der Landesregierung, dem ausführenden Organ. Dazu stehen den Landtagsabgeordneten die Beschlussanträge zur Verfügung. Beschlussanträge können zu allen Angelegenheiten eingebracht werden, die die Bürger und Bürgerinnen direkt betreffen. Meistens beinhalten sie die Aufforderung an die Landesregierung, in einem bestimmten Sinne tätig zu werden, sich einer Sache anzunehmen oder bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Der Landtag verfolgt damit das Ziel, der Landesregierung politische Vorgaben zu erteilen und einen Landtagsbeschluss zu erwirken. Die Abgeordneten können auch Beschlussanträge zu Gesetzentwürfen einbringen. Eine besondere Art eines Beschlussantrags ist der Misstrauensantrag. Durch ihn kann in besonderen und begründeten Fällen das Vertrauensverhältnis zwischen Landtag und dem Landeshauptmann bzw. der Landeshauptfrau, der gesamten Landesregierung oder einzelner Mitglieder der Landesregierung seitens des Landtages in Frage gestellt werden.
Andere Funktionen
Neben den genannten Aufgaben hat der Landtag noch weitere Funktionen:
Ernennungen und Namhaftmachungen
Zu den weiteren wichtigen Funktionen des Landtages gehören die Ernennungen und Namhaftmachungen, also die Aufgabe, Vertreter und Vertreterinnen des Landes Südtirol in verschiedene, autonomiepolitisch wichtige Gremien zu entsenden. Ebenso ist er zuständig für die Besetzung gewisser Ämter bzw. Stellen. Darunter fallen beispielsweise die Ämter eines Volksanwaltes oder einer Volksanwältin, Richter oder Richterinnen beim Verwaltungsgericht Bozen und noch weitere wichtige öffentliche Stellen.
Stellungnahmen zu Anträgen auf Änderung des Autonomiestatuts
Der Landtag kann beim Parlament in Rom in bestimmten Fällen eine Stellungnahme abgeben. Eine solche Stellungnahme kann verfasst werden, wenn im Parlament ein Gesetzesvorschlag zur Änderung des Autonomiestatuts eingebracht wird. Ist das der Fall, so hat der Landtag zwei Monate Zeit, eine solche Stellungnahme zum Gesetzesvorschlag abzugeben. Ein vom Landtag zu Beginn der Legislaturperiode eingesetzter Sonderausschuss überprüft den eingelangten Gesetzesvorschlag und arbeitet für den Landtag eine Beschlussempfehlung aus.
Anfechtungen vor dem Verfassungsgerichtshof
Ist das Land Südtirol der Ansicht, dass ein Staatsgesetz, ein Gesetz der Region Trentino-Südtirol, der Autonomen Provinz Trient oder einer anderen Region seine Gesetzgebungsbefugnisse oder das Prinzip des Schutzes der sprachlichen Minderheiten verletzt, kann es das betreffende Gesetz beim Verfassungsgerichtshof anfechten. Dies ist eine wichtige Bestimmung für die Wahrung der von der Verfassung und vom Autonomiestatut garantierten Befugnisse. Die Anfechtung muss vom Landeshauptmann bzw. von der Landeshauptfrau als gesetzlicher Vertreter bzw. als gesetzliche Vertreterin des Landes vorgenommen werden. Hierzu benötigt es einen entsprechenden Beschluss des Landtags. Da die Frist für die Anfechtung knapp bemessen ist, sprich 60 Tage ab Veröffentlichung des Gesetzes, das angefochten werden soll, hat sich in der Praxis folgendes Verfahren durchgesetzt: Der Anfechtungsbeschluss, aufgrund dessen der Landeshauptmann bzw. die Landeshauptfrau die Anfechtung vornimmt, wird im Dringlichkeitsweg von der Landesregierung gefasst und dann dem Landtag zur Genehmigung vorgelegt.
An das Parlament gerichtete Begehrensanträge und Begehrensgesetzentwürfe
Als höchstes Vertretungsorgan des Landes kann sich der Südtiroler Landtag auch in jenen Bereichen zum Sprachrohr der Bedürfnisse und Anliegen der Südtiroler Bevölkerung machen, die nicht in die Zuständigkeit des Landes, sondern in jene des Staates fallen, aber doch für das Land von besonderem Interesse sind. Entsprechende Möglichkeiten dafür bieten der Begehrensantrag und der Begehrensgesetzentwurf: Während ersterer hauptsächlich das Anliegen nennt, stellt letzterer einen formellen Gesetzentwurf dar, den das Parlament diskutieren und annehmen oder ablehnen kann.
Unter Begehrensantrag versteht man einen begründeten, auf ein Eingreifen des Parlaments abzielenden Antrag, der nicht mit einem in Artikel gegliederten Text versehen ist; ein Begehrensgesetzentwurf stellt hingegen eine Ausübung der Gesetzesinitiative dar.
Initiativen zur Abänderung des Autonomiestatuts
Das Autonomiestatut kann, wenn dies für notwendig und angebracht erachtet werden sollte, auch abgeändert werden. Die Vorgehensweise dafür ist allerdings eine komplexe Angelegenheit, weil das Autonomiestatut den Rang eines Verfassungsgesetzes hat. Ein zu einfaches Abändern des für Südtirol so wichtigen Autonomiestatuts wird dadurch verhindert. Eine so genannte Initiative zur Abänderung des Autonomiestatuts kann beispielsweise der Regionalrat von Trentino-Südtirol ergreifen. Allerdings braucht er dazu einen übereinstimmenden Beschluss der Landtage der beiden autonomen Provinzen Bozen und Trient. Eine solche Initiative zur Abänderung des Autonomiestatuts können aber auch die Regierung und einzelne Parlamentsabgeordnete in Form eines Entwurfes für ein Verfassungsgesetz einbringen: Auch dazu ist eine Stellungnahme (siehe oben) des Landtags vorgesehen