07.04.2021

Das Durchgangslager in der Reschenstraße

von George-Ciprian

Während des 2. Weltkriegs haben die Nationalsozialisten auch in Bozen ein Lager eingerichtet – das Durchgangslager in der Reschenstraße.

Das Durchgangslager in der Reschenstraße - Artikel von George Ciprian

Italien im Jahr 1943

Das Jahr 1943 war der Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg. Die italienisch-deutschen Streitkräfte hatten die Schlacht in Nordafrika verloren und das Vertrauen in Mussolini sank mit jedem Tag mehr. Der Gnadenstoß für den Faschismus kam mit der Landung der Alliierten Streitkräfte in Sizilien. So beschloss der sogenannte „Große Faschistische Rat“, das höchste Organ der Faschistischen Partei, am 25. Juli 1943, Mussolini mit Zustimmung von König Vittorio Emanuele III. abzusetzen.

General Pietro Badoglio wurde zum neuen Regierungschef ernannt und er hatte die Aufgabe, mit den Alliierten einen Waffenstillstand auszuhandeln. Der Waffenstillstand wurde am 8. September 1943 unterzeichnet. Deutschland, das damit nicht einverstanden war, besetzte ganz Norditalien und befreite Mussolini aus der Haft auf dem Gran Sasso in den Abruzzen. Von diesem Moment an war Italien zweigeteilt. Auf der einen Seite gab es die „Italienische Sozialrepublik“, die auch „Republik Salò“ genannt wurde, da ihre „Hauptstadt“ in der Region Brescia am Gardasee lag. Auf der anderen Seite gab es dagegen das Königreich Italien, das zusammen mit den Alliierten Süditalien kontrollierte.

Panzer in Mailand nach dem Waffenstillstand am 08.09.1943
(Foto © Bundesarchiv, Bild 183-J15480 / Rottensteiner)
Panzer in Mailand nach dem Waffenstillstand am 08.09.1943
(Foto © Bundesarchiv, Bild 183-J15480 / Rottensteiner)

Das Durchgangslager in Bozen

Das Durchgangslager in der Reschenstraße in Bozen war ursprünglich ein Gefangenenlager für alliierte Gefangene und wurde 1942 eingerichtet. Nach dem Waffenstillstand von Cassibile beschloss Deutschland, Südtirol zusammen mit anderen Provinzen des Alpenvorlands zu besetzen und das Gefangenenlager in ein Durchgangslager umzuwandeln. Das Lager wurde 1944 in Betrieb genommen und in nur zehn Monaten wurden dort bis zu 9.500 Häftlinge untergebracht, darunter auch Mike Bongiorno, der später einer der bekanntesten Fernsehmoderatoren Italiens wurde.

Unter den Gefangenen befanden sich hauptsächlich Menschen aus Süditalien, hauptsächlich politische Gegner, aber auch Juden, Roma und Zeugen Jehovas. Ein Teil der Gefangenen wurde in Konzentrationslagern nach Deutschland überführt, andere blieben in Bozen und wurden als Arbeiter in örtlichen Unternehmen angestellt.

Das Durchganslager
(Foto © ANPI di Lissone - Sezione "Emilio Diligenti)
Das Durchganslager
(Foto © ANPI di Lissone – Sezione „Emilio Diligenti)

Das Lager war unterteilt in verschiedene Blöcke, die mit Buchstaben von A bis L gekennzeichnet wurden und in denen jeweils eine bestimmte Kategorie von Gefangenen untergebracht war. Zum Beispiel lebten in Block A festangestellte Arbeiter, die für die Organisation des Lagers verantwortlich waren, während in Block F Frauen und Kinder untergebracht waren. Die Verwaltung des Lagers stand unter der Kontrolle der SS und an der Spitze des Lagers stand Leutnant Karl Titho. Die Aufsicht über die Gefangenen übernahmen deutsche, südtiroler und ukrainische Soldaten.

Neben dem Durchgangslager in Bozen wurden in Südtirol noch weitere Außenlager errichtet. Das größte davon war jenes in Sarnthein, in dem 120 bis 500 Häftlinge untergebracht waren. Es wurde eingerichtet, da in Bozen zu wenig Platz war und, weil im Februar 1945 die Brennerlinie zerschlagen wurde.

Widerstand und Verurteilung der Täter

In Italien hatte sich das „Komitee der nationalen Befreiung“ gegründet. Auch im Durchgangslager in Bozen waren ihre Mitglieder inhaftiert. So auch Ada Buffulini, eine junge Frau, die aus Mailand in das Lager in Bozen deportiert wurde und von dort aus das Komittee der nationalen Befreiung anführte. Dank diesem Komitee konnten Hunderte Pakete mit Lebensmitteln, Kleidung und Briefen ins Lager geschmuggelt werden.

Mit Kriegsende kam es zur Zerschlagung des Deutschen Reiches, woraufhin viele Nazis flüchteten. So auch Michael Seifert, der bekannt war als „Henker von Bozen“. Seifert, ein deutschsprachiger Ukrainer, war von 1944 bis 1945 Leiter des Lagers in Bozen und zuvor Leiter des Durchgangslagers Fossoli in der Emilia-Romagna. Er ist verantwortlich für den Tod von mindestens achtzehn Zivilisten. Nachdem er lange Jahre in Kanada gelebt hatte, wurde er dort im November 2020 verhaftet und an Italien ausgeliefert. Er wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt und starb im Jahr 2010.

Karl Titho dagegen wurde zu Kriegsende von den Alliierten in Bozen gefangen genommen und in mehreren europäischen Staaten vor Gericht gestellt, aber nur in den Niederlanden verurteilt. Titho wurde jedoch niemals für die Verbrechen im Lager in Bozen und andern Lagern verurteilt, da die Personen, die die Ermittlungen leiteten, ehemalige Mitglieder der NSDAP waren. Titho starb im Jahr 2001. Vor seinem Tod gestand er alle seine Verbrechen und entschuldigte sich bei den Opfern und ihren Familien.

Die einzige Mauer, die noch vom Durchgangslager von Bozen übrig ist. 
(Foto © George Ciprian)
Die einzige Mauer, die noch vom Durchgangslager von Bozen übrig ist.
(Foto © George Ciprian)

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